Samstag, 30. Januar 2010

Bitterfotziges

Ich muss schwer aufpassen, dass aus mir keine total verbitterte von den Menschen frustrierte Alte wird. Schon deshalb sollte ich auf meinem Diätpfad bleiben.
Meine innere Größe reicht derzeit nicht um mein Volumen zu füllen und was bleibt, ist eine ganz üble Leere in mir.
Ein Problem, das Victoria Beckham sicherlich nicht plagt.
Bei einer Size 0 bleibt kein Raum für Leere.
Allerdings läuft die Guteste gelegentlich so herum, dass man ins Grübeln kommt, ob ihr ihr Magen vor lauter Platzmangel im Taillenbereich in den Kopf gestiegen ist.
Seit nunmehr fast einem Monat entsage ich den abendlichen Fressgelüsten.
Gestern hatte ich mich tagsüber schwer zurückgehalten, damit ich dann abends "ungestraft" etwas essen könnte. Als ich aber vor dem üppigen Buffet stand, bekam ich regelrecht Panik.
Da standen so leckere Sachen!
Kartoffelgratins, üpppige Salate, Braten, diese putigen kleine Partyfrikadellen, gefüllte Eier.
Und ich hatte noch nichts gegessen und durfte!
Vor meinem inneren Auge sah ich, wie ich mich in meinem albernen Partykleidchen bäuchlings auf das Buffet warf und kaute. Wahllos, viel und genug Kalorien um ein kleines albanisches Dorf durch den Winter zu bringen.
In mir stiegen heiße Tränen auf und ich ging erst einmal in das leider voll verspiegelte Gästeklo. Bei offener Tür zupfte die Gastgeberin ein wenig an ihrem Kleid herum, das eine halbe Größe zu eng saß.
"Toll!" sagte ich. "Hast du abgenommen? Steht dir echt sagenhaft gut die Farbe und betont genau die richtigen Stellen!"
Nein, das war nicht geheuchelt.
Das Kleid war einen Tick eng, aber Kleidergröße 39 gibt es nicht und ich finde, wenn man eine selbstzweifelnde Gechlechtsgenossin sieht, sollte man ihr mit ein paar hilfreichen Worten zur Hilfe eilen.
Und "betont" ist eine ganz wunderbar hilfreiche Umschreibung von "trägt auf".
Meine Gastgeberin jedenfalls blühte sichtbar auf und suchte eindeutig nach einer freundlichen Erwiderung. Es entstand ein verdammt unbequemer Moment, als ihr nichts einfallen wollte, bis sie dann begeistert meine tatsächlich neue Haarspange entdeckte, die sie sofort wohlwollend kommentierte.
Für einen Moment war ich froh, als ich die Tür des Gästeklos hinter mir geschlossen hatte, aber kurz darauf saß ich dann doch heftig mit den Tränen kämpfend auf dem Klo.
Mit einer eng sitzenden Kleidergröße 48 auf einem voll verspiegelten Klo - das ist nichts für schwache Nerven!
Miederwaren in der Modefarbe "nude", die unter meinem Kleid versuchten mein Fett in Form zu quetschen nun heruntergerollt und dann mein freigelegter winterweißer Riesenhintern.
Hallelujah!
Mir war klar, dass das Wesen, das da gleich die Toilette verließe, die Dicke des abends war.
Der einzige Single, die einzige Dicke.
Natürlich vollbrachte ich das "von Wrack auf lustig in 2 Minuten"-Wunder, schritt tapfer an den nur für mich sichtbaren "du gehörst nicht dazu!" Schildern vorbei und tat, als gehörte ich wohl dazu. Ob irgendwer darauf hereinfiel?
Eine sehr fragile Stimmung.
Ich lachte bei jeder noch so flachen Anekdote, hörte überall aktiv zu, lobte, lächelte und musste höllisch aufpassen, nicht ganz widerwärtige Gedanken zu denken oder gar auszusprechen.
Eine der Frauen fing an von Haiti zu reden und eine andere verwechselte das wohl irgendwie mit Indien und erzählte, dass das für sie eh eine ganz fremde Kultur sei.
Wie ergeben die das Schicksal der Armut annehmen und gar nicht dagegen aufmucken, dass ihre Kaste ihr Schicksal entscheidet.
Fast hätte ich eingeworfen, dass ihr das so fremd doch nicht sein dürfte, denn immerhin gehöre sie doch zu den Frauchen, die schon während der Schulzeit wussten, dass ein hoher Bildungsabschluss an Frauen vergeudet ist und Frauen dafür geschaffen sind, einen Haushalt zu führen und sich um die Kinder zu kümmern.
Leider ist Hans-Herberts Karriere früh verstorben und er hat den frei gehaltenen Rücken nicht genutzt um in irgendein Management aufzusteigen. Er hat im Kegelverein beträchtliche Erfolge erzielt, aber ich glaube, sie hatte eher auf ein schönes Haus und Ponys für die Kinder gehofft, als Kegel-Pokale.
Habe ich je erwähnt, dass ich ein eigenes Haus habe?
Und immerhin eine Reitbeteiligung für 2 Kinder.
Dafür fehlt mir ein Hans-Herbert samt Pokalen.

Alles Quatsch - mir fehlt nicht Hans-Herbert, mir fehlt derzeit eine Riesenportion Selbstzufriedenheit.
Das Buffet schrie nach mir, lockte, schmeichelte und mich durchfluteten aggressive Wellen, kleine Bosheiten, triefender Sarkasmus, Selbsthass.
Fieberhaft überlegte ich, was ich essen sollte und mir war klar:
ich würde nie wieder aufhören und mich danach in Grund und Boden schämen!

Ich bin ein Kugelfisch, dachte ich.
Die Dinger haben doch Stacheln, oder?

Prompt fragte mich jemand, ob ich schon an dem Buffet war und lobte die Speisen.
Unsere Gastgeberin stand bei uns und ich log: oh ja, mit dem Kartoffelgratin hast du dich wieder selbst übertroffen!
Meine Gastgeberin lächelte mich fragend an und nach einer Weile verschwand sie in der Küche.
Ich unterhielt mich derweil mit anderen weiter - besser gesagt, ich hielt hauptsächlich die Klappe und schielte auf die Uhr, wann ich bitteschön verschwinden könnte ohne in den nächsten Tagen am Telefon gelöchert zu werden, weshalb ich so früh verschwunden wäre.
Ja und in der Zeit schnibbelte die Gastgeberin eine Rohkostplatte und stellte sie zum Buffet.
"Du ziehst das echt durch, dieses Jahr, nicht wahr?" fragte sie mich unbemerkt und ein "find ich toll!" setzte sie noch dazu. Ebenso unauffällig.
Frauensolidarität im Kleinen.
Und ich konnte mich nun an die Rohkostplatte halten und kauen und kauen und klar, mein dicker Schweinehund erwähnte noch gelegentlich, dass ein Hauch Gratin oder eine einzelne Partyfrikadelle nicht schaden würde, aber ich kenne das schon: nimmst du eine, nimmst du alle!

Ja, aber es hat mir zu denken gegeben, gestern.
Diese Bosheit, die mir durch den Kopf geschwappt war, die gefällt mir gar nicht.
Ekliger Neid und Missgunst mit den Dünnen?
Dann bitte lieber nur Selbsthass.

10 Kommentare:

Sudda Sudda hat gesagt…

... und immer schön die Zunge an den Gaumen drücken, damit das Doppelkinn abgemildert wird.

Oh, wie ich das kenne!!!

Was für ein hammertoller Text. Den hätte ich blind mit meinem Namen unterschreiben können.

SOIFZ!

Bei mir definitiv Selbsthass...

Drücke dich & danke
Sudda

Anonym hat gesagt…

Ich kenne das auch! Finde ich super, das Du durchgehalten hast! Das zeigt echt Stärke!!!!

Anonym hat gesagt…

deine willensstärke möchte ich mal haben - chapeau!

nach fast zweimonatigen vollstopfen bin ich mal wieder (für mich) am oberen limit - leider;

ich möchte nicht sagen, dass ich unbedingt neidisch auf dünne bin, aber im fitnesstudiuo kommt es nicht umhin, ab und an mal einen blick auf toll gestählte körper (und ich bin in einem reinen frauenstudio) zu werfen, kein schwabbel, kein bauchfett, keine wabbligen oberarme - meistens bin ich dann so frustriert, dass ich mich schäme im studio zu duschen und mir dann zuhause erst recht was süsses gönne *schäm*

liebe grüsse silke

Anonym hat gesagt…

Mal ein Kommentar von der Dünnen-Fraktion.
Ich lese so gern Dein Blog, da Deine Gedanken auch uns, zumindest mir, so gar nicht fremd sind. Ok, hier geht es um kleinere Einheiten, oder ums Halten des Gewichtes, das Straffen des Hinterns, die Gelüste nach Kalorienbomben,das Schwachwerden, das Absporteln... Alles doch recht ähnlich, wenn auch von Euch nur milde belächelt oder kopfschüttelnd hingenommen.
Uns plagen ähnliche Zweifel...Glaub es mir!
Was meinst Du, warum wir alle ins Sportstudio rennen? Gewiß nicht,um uns Dicke anzusehen, und uns zu freuen ;) Und wenn man dann noch, so wie ich, mit einem introvertierten Wesen gesegnet ist: halleluja.

Ich wünsch Dir, dass Du Dein Wunschgewicht erreichst. Ob mit Brokkoli oder Reis...

Auf dass die Bosheit verschwindet!

Mausflaus hat gesagt…

ich hab grad das Bedürfnis dich zu drücken :-)
der Text ist so krass ehrlich und unbarmherzig... dabei kenne ich das nur zu gut.
ja, auch mit Kleidergröße 36 schafft man es nicht, aufzuhören, man kriegt Herzklopfen wenn man den ganzen Tag noch nichts gegessen hat und an das üppige Abendessen denkt. Nennt sich Essstörung....

und wenns dich tröstet: ich bin seit über nem Jahr single - das Dumme ist, dass ich s noch nicht mal auf mein Äußeres schieben kann...

dat Bea hat gesagt…

Was für ein Text!

Und was für eine Gastgeberin!
Kann man die mieten??

Und - nein - ich beneide die Dünnen nicht...mehr.
Hass nur dann, wenn an einer mit Weibern vollbesetzten Tafel Missis "Ich-brauch-ja-nicht-aufpassen - wenn ich den ganzen Tag nichts esse" die verunsicherte Erklärung einer Neu-ImSchlafschlanken", warum sie denn keine Beilagen möchte, halblaut mit einem "Oh Mann, und in vierzehn Tagen ist die Phase wieder vorbei und sie nimmt doppelt so viel zu" kommentiert.
Dann hass ich - mich, weil ich nicht aufstehe und gehe oder sie zumindest blamier...

Und weisst du: es gibt die Hans-Herberts, die mögen DICH, nicht Deinen gestählten Body...

Halt durch. bis du dich wohlfühlst.

Schwesterliche Grüße

wollwerkerin hat gesagt…

Ich bin hin und weg! Echt jetzt! Das einzige, was mir als Ergänzung dazu einfällt ist, dass Selbsthass nix mit dem Gewicht zu tun hat. Ich hab mit 62 kg und 173 cm schon angefangen zu glauben, ich wär zu dick! Und leiden konnt ich mich weder mit 57kg noch mit 90kg. Der Weg geht nicht nur übers Abnehmen - der geht auch übers annehmen. Ich weiß, ich weiß, das ist leichter gesagt, als getan - und doch geht es. Ich finde, du hast den richtigen Blick auf die verschrobenen und verlogenen Aspekte "weiblicher" Schönheitseinbildungen - pass einfach auf Dich auf - he, und nicht alle Hans-Herberts sind gehirnamputiert - ehrlich!
Wundervolle Grüße
Susanne

Tiny Kahuna hat gesagt…

Hier noch ein Kommentar von der "Dünnenfraktion"....
Ich kämpfe zwar nicht auf "hohem Niveau", aber ich kenne diese Gefühle die Du beschreibst... Ich war depressiv und da fühlt man sich ähnlich ausgegrenzt und an die Wand gestellt. Dazu kommt, dass man dann entweder anfängt sich in den Fitnesswahn zu treiben und sich mit Diäten unter Druck zu setzen oder Fressattacken erleidet, für die man sich dann hinterher schämt.
Wenn ich nach meiner Kur und Genesung eines begriffen habe, dann dass, das man sich nicht dem Druck der Gesellschaft unterwerfen sollte. Glaub mir, viele Ars*piep*löcher da draußen hätten es eher nötig vor der eigenen Tür zu kehren. Glaub an Dich und nur Du allein musst Dich wohlfühlen. Ob nun mit ein bisschen weniger oder mehr! Niemand muss in Förmchen passen und mir sind allemal die lebenslustigen Menschen lieber, als die zickigen, die nur am Salatblatt knabbern. Jeder Jeck ist eben anders!
Ich drück Dir die Daumen dass Du DEIN WOHLFÜHLGEWICHT erreichen wirst! Und Kopf hoch, sonst kannst Du die schönen Sterne nicht sehen! Solche Tage gibt es halt immer mal wieder, auch im Leben von Spargeltarzanen ;o)
LG
Anke

Anonym hat gesagt…

Ich kann mich dem nur anschließen, ein wirklich toller Beitrag.
Ich bin zwar mit meinem Übergewicht noch in einem "überschaubaren" Rahmen, aber dennoch kann ich solche Situationen komplett nachfüllen. Es ist nicht nur das Fitnessstudio, die Sauna, der Club...Überall füllt man sich nicht dazugehörig, weil man nicht der "Norm" entspricht. Aber Die Sache mit der Selbstliebe beginnt vor allem im Kopf...Ich erinnere mich an meinen schlanken Tagen, wo ich mich dennoch oft "fett" gefühlt habe...Im Nachinein wenn ich mir Fotos aus der Zeit angucke, denke ich nur wie blöd ich doch war, hätte ich die Zeit lieber genossen...
Als frischer Single ertappe ich mich in letzter Zeit oft bei Gedanken wie: "Ich muss erst abnehmen bevor ich eventuell einen neuen Partner finde". Bullshit! Aber wie gesagt, das mit der Selbstliebe ist eine schwierige Sache, da fällt einem der Selbsthass leider leichter...
Wir müssen wirklich anfangen, und selbst bedingungslos zu lieben! Schließlich sind wir doch auch alle anderen gegenüber diese Gefühle zu zeigen, wir lieben unser Familie, Partner, Kinder, Freunde, so wie sie sind, oder nicht? Warum also nicht die Person, auf die es letztendlich wirklich ankommt, ein bischen mehr Liebe, Zuwendung, Zuspruch und vor allem positive Bestätigung schenken? Let's start loving ourselves ♥
LG, CardioGirl
http://www.cardiogirl.de

Sissy´s Blogcity hat gesagt…

Hallo Du,
ich bin über Suddas Blog hierher gekommen, die diesen Blogeintrag von Dir wärmsten empfiehlt - und ich finde sie hat recht.
Es ist traurig, wenn der Selbsthass so groß wird, dass man anfängt seine Umwelt negativ zu betrachten.
Aaaaber - das ist ganz bestimmt kein Dauerzustand. Du bist doch bestimmt eigentlich eine ganz nette.
Und mal ganz ehrlich - ich finde Du kannst Stolz auf Dich sein, dass Du es geschafft hast, dem Buffet zu widerstehen. Trotz Deines Kopfkinos und trotz der lockenden Stimme Deines inneren Schweinehundes bist Du standhaft geblieben.
Als Du auf der Toilette warst, hast Du es fertig gebracht, einer anderen Frau, die in diesem Moment Selbstzweifel hegte Mut zu geben indem Du sie positiv bestärkt und bestätigt hast - und das, obwohl Du Dich selber total scheiße gefühlt hast. Das nenne ich eher stark, mitfühlend und großherzig anstatt bitterfotzig.
Und war doch total nett und umsichtig von der Gastgeberin zu merken, dass Du das Buffet meidest und sie Dir Rohkost geschnibbelt hat. Würde auch nicht jede machen.

Ich glaube Du gehst ein bisschen hart mit Dir ins Gericht - am Wochenende war Vollmond - das erklärt doch das ein oder andere :-)

Sei stolz auf Dich, dass Du stark bist und wenn Du es geschafft hast, dem Partybuffet zu widerstehen, dass schaffst Du das im Alltag auch!

Liebe Grüße
Sissy